Gotteskrieger. Was ein beleidigendes Wort, an dem geschichtlich mehr Blut klebt, als an irgendeinem tyrannischen Imperium, egal zu welcher Zeit. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob man sich an den Kreuzrittern im Christentum ergeht, die Taten im vermeintlichen Auftrag des Islam einer kritischen Betrachtung unterzieht oder sogar im als so bedingungslos friedliebenden Buddhismus die Zerrissenheit zu Zeiten des Kaisers Ashoka untersucht. Fakt ist, dass in all diesen Fällen der Glaube lediglich als Deckmantel für das Machtstreben, die Durchsetzung von Ideologien und die hinterhältigste Art der Einflussnahme durch Einzelne dient. Niemals wurde einem Menschen ein Angriff auf andere Menschen durch Gott persönlich übermittelt.
Doch bedienen sich diese Gruppierungen und Sekten, teils regierungsunterstützt, teils durch oppositionelle Gruppen finanziert, den Schwächsten der Gesellschaft, denen sie mittels ihrer Versprechungen und dem Aufzeigen der Bösartigkeit des vermeintlichen Feindes einen Weg aus dem Elend aufzeigen. Die armen Erfüllungsgehilfen werden pausenlos mit dem Leid ihrer Mitbürger konfrontiert und „der Andere“ als Auslöser und Feind dargestellt. Dabei sind es keineswegs, wie oben bereits aufgezeigt, dumme und fanatische Krieger, die hier die Fäden ziehen, sondern zumeist kluge Köpfe,die ein Talent für Planung, Organisation, Vernetzung und eben Einflussnahme haben.
Wer glaubt, ich ziele hier ausschließlich auf den IS als aktuellste Bedrohung, den muss ich leider enttäuschen. Ja, dieser Artikel heute ist auf die Anschläge der jüngsten Zeit zurück zu führen (Ankara, Istanbul, Paris, Brüssel…) und ja, hier spielt der IS eine zentrale Rolle, aber die Methode, terroristische Anschläge zur Änderung der politischen Landkarte (eben nicht der religiösen) einzusetzen, existiert nicht erst seit diesen paar Jahren. Al-Kaida in den 90er/00er Jahren, mit ihrem medialen Höhepunkt 2001, die IRA und ETA in Irland/ Spanien, aber auch die RAF mit ihrer Schreckensherrschaft in Deutschland (70er/ 80er Jahre) sind die Urväter des Terrors als Medienereignis. Letztere hatte mit Andreas Baader und Ulrike Meinhof zu Beginn gar hochintelligente Staatsbürger an der Spitze der Bewegung.
Was neu ist, ist die grenzüberschreitende Gewalt und die extrem effiziente Rekrutierung über soziale Netzwerke. Da wandern junge Erwachsene, teilweise Jugendliche, aus Frankreich, Dänemark, Belgien, Deutschland usw. in Terrorcamps nach Syrien aus, um für die Befreiung aus der westlichen Umklammerung ausgebildet zu werden. Sie vertrauen auf Videos, Nachrichten, Einflüsterungen, die zu einem großen Teil über genau den Weg verbreitet werden, den sie eigentlich verteufeln (ob sie wissen, dass Mark Zuckerberg jüdischen Glaubens ist?). Hier muss rasch eine Strategie her, eine Gegenentwicklung. Gerade online scheint es nicht mehr vernachlässigbar, Menschen humane, demokratische Perspektiven und einen Lebenssinn ohne Krieg und Gewalt aufzuzeigen.
Jürgen Tödenhöfer, der ein viel beachtetes und lesenswertes Buch über den IS geschrieben hat, zeigte heute drei Strategien auf, die von der Politik bislang (vermutlich aus lobbyistischen Gründen) nahezu unberücksichtigt geblieben, aus meiner Sicht aber essenziell sind. Ich möchte ihn hier zitieren:
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Hier die 3 wichtigsten Punkte einer intelligenten Anti-Terrorstrategie:
1. Die westliche Strategie der letzen 14 Jahre ist krachend gescheitert. Wir müssen vor allem das Bombardieren im Mittleren Osten beenden. Es tötet überwiegend Zivilisten und züchtet neuen Terrorismus. Wirkungsvoller wären kühne Geheimdienst-Operationen und militärische Spezial-Kommandos. Wer den IS besiegen will, muss bereit sein, Risiken auf sich zu nehmen. Mut war jedoch bisher nicht die herausragende Tugend westlicher Antiterror-Politik.
2. Im Irak profitiert der IS von der heimlichen Duldung durch die massiv benachteiligten Sunniten. Der Westen muss sich viel engagierter dafür einsetzen, dass die irakischen Sunniten wieder gleichberechtigt ins politische Leben ihres Landes integriert werden. Für den IS im Irak wäre das der Todesstoß.
3. Der gesamte Mittlere Osten – nicht nur Syrien – braucht eine große umfassende Friedenskonferenz. Im Interesse der dort lebenden und leidenden Menschen, aber auch im westlichen Interesse. Nirgendwo ‚gedeiht‘ der Terrorismus so gut wie in der Ungerechtigkeit von Kriegen.
Jürgen Todenhöfer, auf seiner Facebook-Seite, 22.03.2016
**************schnapp**************
Ich stimme ihm zu. Ich möchte hier auch nichts über Flüchtlinge hören, denn ich glaube nicht daran, dass die Gefahr dadurch erheblich größer wird. In erster Linie fliehen diese Menschen vor genau diesem IS-Regime und der muslimische Glauben an sich ist nicht per se gewaltverherrlichend. Viel wichtiger jedoch: Der maßgebliche Terrorhelfer 2001, Atta, hat in Hamburg studiert, untadelig. Der Pariser Drahtzieher, Abdeslam, ist belgischer Staatsbürger. Viele Hassprediger in Deutschland sind konvertierte Personen deutscher Staatsangehörigkeit. Es brauchte keine Flüchtlingswelle, um ein Terrornetzwerk zu etablieren. Ganz im Gegenteil.
Was wir brauchen ist Integration. Perspektiven. Keine sozialen Ghettos wie in Moelenbeek, wo sich Ideologien aus Langeweile, Angst oder Perspektivlosigkeit bilden können. Möglicherweise bin ich verblendet, weil ich als Kind des Ruhrgebiets das Miteinander schon von Kindesbeinen an lernen durfte. Meine Spielgefährten hießen Mehmet, Kemal oder Adrian, kamen aus der Türkei, Marokko oder Russland, lebten teilweise zu acht in einer Dreizimmerwohnung oder im Aussiedlerheim in der Nachbarschaft. Und man kam dennoch prima klar, schloss Freundschaften, spielte Fußball oder Basketball. Ich habe gegen Iraner gerungen und hinterher mit den Familien Tee getrunken und die polnischen Nachbarn waren die besten Freunde meiner Eltern.
Ich kann und will nicht akzeptieren, dass das heute nicht mehr funktioniert. Wir müssen nur endlich wieder die Angst vor dem Fremden, dem Anderssein ablegen und aufeinander zugehen. „Ein Fremder ist ein Freund, den man noch nicht kennt“ (irisches Sprichwort)! Lernt euch wieder kennen, versteckt euch nicht hinter Computern, Fernsehern und den eigenen vier Wänden. Lasst eure Kinder draußen spielen, gemeinsam, unabhängig von Sprache, Hautfarbe oder sozialem Status. Helft einander. Aber ich weiß jetzt schon: Diejenigen, die ich erreichen möchte, kommen nicht bis zu diesem Absatz. Und die, die hier noch mitlesen, sind sowieso offenen Herzens und frohen Mutes.
Bitte entschuldigt, dass ich so ausgeufert bin, aber das Thema geht mir nah. Ich reise viel, tausche mich mit Menschen anderer Länder aus und bin dort noch nie in meinem Leben schlecht behandelt worden. Wenn wir, als EU, als Deutschland, als Bundesländer, Städte und Gemeinden, aber insbesondere als Individuen, etwas an der aktuell angsteinflößenden Situation ändern möchten, dann müssen wir unsere Bereitschaft signalisieren, gegen Terroristen die Stimme zu erheben und allen, vor allem jungen Menschen, die Hand reichen und eine Perspektive anbieten, für die es sich lohnt, miteinander in Frieden zu leben.
Dieser Weg wird nicht einfach sein … aber er ist machbar. Wer im Namen eines Gottes mordet, der ermordet seinen Gott!
Keep on rockin´
Ree