Stillstand. Im Stau des Lebens angekommen, in dem sich eine Masse an Menschen hintereinander her bewegen möchte, dabei aber keinen Schritt vorwärts kommt und selbst die nebeneinander platzierten Personen in der Regel zu genervten Individuen mutieren, die sich mit andauernder Zeit immer weniger zu sagen haben. Auch wenn sich diese Beobachtungen tatsächlich auf einen erlebten Verkehrsstau beziehen, so könnten sie doch in großen Teilen auch ebenso als Sinnbild für den ganzen Rest des Lebens herangezogen werden.
Eine ganze Zeit lang bewegt man sich flüssig durch die Monate und Jahre, setzt sich Ziele und erfreut sich an den Abenteuern, die neue Entdeckungen und Erkenntnisse mit sich bringen. Man lernt Freude und Schmerz kennen, realisiert, dass beides nie von ewiger Dauer ist und um die nächste Ecke schon die Bremslichter auf einen warten können. Mal stockt es nur für einen Augenblick, manchmal jedoch wird man förmlich zum Stillstand gebracht. In jungen Jahren weiß man dann in der Regel diverse Freunde um sich, so dass man stets auf jemanden zurückgreifen kann und so selbst im tiefsten Schlamassel nicht allein ist. Man lernt Vertrauen und die Zuversicht, dass man gemeinsam alles schaffen kann.
In fortgeschrittenen Jahren aber zerstreuen sich so einige Bekanntschaften in die verschiedenen Himmelsrichtungen und wenn man selbst gezwungen war, die Zelte in der Heimat abzubrechen, kann es sein, dass am neuen Wohnort die Fixierung auf sehr wenige vertraute Personen konzentriert wird. So lange alles in geordneten Bahnen läuft, alles flüssig vonstatten geht, ist das nicht weiter bemerkenswert und wird durchweg positiv wahrgenommen. Auch die Entdeckung einer neuen Umgebung ist ein schönes Abenteuer, wenn man die Erlebnisse am Abend mit geliebten Menschen teilen kann.
Doch mit der Zeit, wenn es Routine wird, der Alltag einkehrt und die Entdeckungen weniger werden, dann kann es passieren, dass man in einer zähfließenden Rochade landet, die nach und nach zu einem Lebensstau mutiert. Die Geschichten werden oberflächlicher, die Aufmerksamkeit nimmt ab und die Stille zu. Abfällige Kommentare halten Einzug und neutrale oder gar negative Äußerungen erhalten eine gar furchteinflößende Bedeutung. Sie werden zu Wirkungstreffern für die Seele, äußerlich zunächst kaum zu erkennen, doch mit der Zeit bahnbrechend, bis es zum unausweichlichen Streit kommt. Oft ist die Situation dann bereits verfahren, der Streit kein reinigendes Gewitter, sondern Anfang vom Ende.
Alle Beteiligten, ob in Partnerschaft oder enger Freundschaft, sollten sich darüber bewusst sein, dass ihnen so etwas früher oder später bevorsteht: Die Routine, der Alltag, das Ende der täglichen Abenteuer. Sie sollten offen damit umgehen und sich dadurch bewusst machen, dass das normal ist. Sollten sich Auswege suchen, in Hobbies, gemeinsamem Sport, liebevollen Gesten und Worten (das darf gerne Routine werden), auch mal getrennten Unternehmungen. Es ist wichtig, sich auch belanglos erscheinende Kleinigkeiten zu erzählen und vielleicht sogar mal gegenseitig ein Buch vorzulesen. Das funktioniert mal besser, mal schlechter, doch sollte es im Regelfall dazu führen, sich einander nahe zu halten.
Der Feind ist die Einseitigkeit. Denn lernen wir natürlich auch, als Individuen für uns selbst verantwortlich zu sein. Egoistisch zu handeln, weil es nicht per se schaden kann, eigene Wünsche zu formulieren. Und weil zu viel Rücksicht zu einer so gravierend großen Verletzlichkeit führt, dass die normale Enttäuschung, der uns alle widerfahrende Schmerz zu einer so unfassbaren Größe anschwillt, dass wir ihn dann möglicherweise nicht mehr kontrolliert und eingedämmt bekommen. Die Gratwanderung ist schwierig, das Gleichgewicht zu halten eine hohe Kunst. Denn zu viel Egoismus wirkt ebenso abstoßend wie übermäßige Kompromissbereitschaft.
Letzteres ist meine Nemesis, mein Dolch, der immer wieder unnachgiebig in mein Herz stößt. Egoismus war ein Fremdling, nur die Aufopferung verhieß Zufriedenheit. Doch hat dies bereits zweimal zu todeskampfähnlichen Qualen in Herz und Seele geführt, den Abgrund aufgetan und alles Schöne in Frage gestellt. Es gilt, die Balance zu finden, doch bin ich schwach. Was ich will wechselt täglich, was ich soll weiß ich nicht. Nur dass der Stau, die Blockade, aufgelöst werden muss, damit es weitergehen kann. Vielleicht brauche ich einen Räumdienst. Oder muss abtransportiert werden. Vielleicht ist es wirklich an der Zeit für eine neue Umgebung. Vielleicht aber auch nicht, möglicherweise ist durchhalten die Parole. Ein Tannenbaum im Kopf ist wahrlich keine Freude. Und versprechen, was man nicht halten kann, das sollte man nicht – auf keinen Fall sich selbst.
Keep on rockin‘
Ree