Wertvoll. So sollte man jeden Tag sehen, ihn angehen und zu schätzen wissen. Als rasch verfliegendes Geschenk in einer Ansammlung zu Beginn schier endlos erscheinender Stunden, die sich mit zunehmendem Lebensalter immer rascher zu verknappen drohen. Als kleiner Junge, mit einem ganzen Leben vor Augen, erscheint der einzelne Tag fast wertlos, auch als Teenager wird er noch liebend gern im Bett verbummelt. Es folgen ja (hoffentlich) noch so dermaßen viele, dass es auf diesen einen, speziellen, nicht wirklich ankommt. Auch im jungen Erwachsenenalter, in der Ausbildungs- oder Studentenzeit, weiß man nicht immer zu schätzen, dass jede einzelne Minute des Lebens wahrhaft kostbar sein könnte.
Mit dem Einstieg ins Berufsleben, Tagen voller Überstunden, willkürlich erscheinenden Besprechungen oder fragwürdigen Aufgaben, dazu garniert mit wachsenden privaten Verpflichtungen diverser Coleur (Sport, Partnerschaft, Freunde, Familie), gewinnt allerdings nach und nach die Erkenntnis Überhand, dass es gar so viele Tage nicht sind, bis wieder ein Jahr verflogen und man sukzessive älter geworden ist. Nicht selten wünscht man sich dann die unbeschwerte Zeit zurück, in der das Verbummeln ohne Reue möglich und vor allem vorwurfsfrei gewesen ist. Einfach mal nichts tun, ohne sich der ganzen Aufgaben bewusst zu sein, die es rundherum zu erledigen gilt.
Mut tut gut
Nun ist das kein Einzelfall, sondern ein global akzeptierter Way of Life, und man wird vermeintlich eher skeptisch gesehen, droht man daraus beizeiten auszubrechen. Oder glaubt das zumindest, vermutet, Gefahr zu laufen, zum Sonderling oder als wenig ernsthaft angesehen zu werden. Wie kurios erscheint es dann, wenn über einem ein ganzes Füllhorn positiver Rückmeldungen geleert wird? Wenn man quasi für seinen Mut beglückwünscht und regelmäßig mit der Aussage konfrontiert wird, man wünsche sich selbst ebensoviel Abenteuerlust und Courage für diesen Schritt? Für mich ein Segen, denn da sich jeder von uns ein stückweise Bestätigung wünscht und ich bekanntermaßen auch nach der Entscheidung noch ein wenig mit ebenjener haderte, sorgte dieses weitreichende Feedback für das gute Gefühl, tatsächlich den richtigen Weg gewählt zu haben.
Nun liegt also für den Moment die Macht des Tages wieder völlig in meiner eigenen Hand. Ein ungewohntes Gefühl, mit dem ich nun erstmal wieder umzugehen lernen muss. Natürlich gibt es Pläne, inzwischen halbwegs bekannt, ganz vorne das Eintauchen in die spanische Sprache und der Start des Studiums, doch sollte es sinnvollerweise auch noch Raum für die lange vermissten Auszeiten geben. Das Dahingleitenlassen von einzelnen Tagen, den Genuss im Moment und die Fähigkeit, sich überraschenden Situationen entspannt hingeben zu können, all das soll auch Bestandteil der kommenden Wochen, vielleicht Monate, sein. Obwohl ich mich mit einer konkreter werdenden anderen Planung natürlich durchaus wieder in die Routine eines Arbeitsalltags zu begeben gedenke; allerdings dann doch in etwas anderer Form, dazu aber später mal mehr.
Ein Schritt für jeden?
Heißt das aber denn nun, das ein jeder genau diese Chance ergreifen, den neuen Pfad erkunden soll? Beileibe nicht, es muss schon persönlich passen. Gibt es doch viele vernünftige Gründe, die Sicherheit eines festen Arbeitsverhältnisses nicht aufzugeben. Da spielen das Gehalt, Sozialleistungen und Attraktivität des Arbeitgebers (passte bei mir alles super) genauso eine Rolle, wie die außerberuflichen Lebensumstände – ob für eine Familie gesorgt werden muss, die eigenen Fähigkeiten eine Anschlussbeschäftigung oder den Traum der Selbständigkeit realistisch erscheinen lassen, der Drang nach Veränderung überhaupt existiert oder man einfach mal die Schnauze voll vom Alltag hat. Nur eine Kurzschlussreaktion sollte es auf keinen Fall werden. Ich habe sieben Monate darüber gegrübelt und unzählige Szenarien entwickelt.
Dennoch empfehle ich, sich zumindest den Gedanken an eine solche Variante nicht zu verschließen. Ehe man sich versieht, ist ein großer Teil der Tage an einem vorbeigezogen, ohne dass man der Erfüllung seiner ursprünglichen, manchmal kindlichen Träume ein Stück näher gekommen ist. Auch wenn die große weite Welt inzwischen arg globalisiert und zusammen gerückt erscheint, gibt es noch so viel zu entdecken und jede Menge Möglichkeiten zur Entfaltung seiner Selbst. Immer, wenn ich im Mini-Tagebuch meiner kürzlich verstorbenen Oma lese, rufe ich mir das ins Gedächtnis. Es gibt wohl nur wenige, die auf dem Sterbebett, am letzten bewussten Tag, die vielen Unternehmungen bereuen. Eher hört man doch davon, dass verstrichene Gelegenheiten und ungenutzte Abenteuer betrauert werden. Das Festhalten an der Routine bedauert. Und den Verbliebenen mit den letzten Atemzügen (oder eben den hinterlassenen Worten im Tagebuch) der Ratschag erteilt wird, auch mal mutig zu sein und andere Wege zu gehen. Daraus schließe ich: Es kann so falsch nicht sein.
Keep on rockin´
Ree