Es geht nie ohne Melancholie!

Blues. Die Musikrichtung des markerschütternden Gefühls, nicht jedermanns Sache, aber doch von durchdringender Kraft, die aus traurigen Menschen heulende Schlosshunde macht und in der Lage ist, jedem Moment einen melancholischen, emotionalen Touch zu verleihen. Genau wie das wahre Leben, denn kein anderer Stil in der Musik zeichnet diese schwermütige Facette der Sehnsucht und unerfüllbaren Träume packender nach. Eine Berührung, derer man sich nur schwer entziehen kann; die in depressiven Phasen dafür sorgt, den Sender am Radio zu wechseln, bevor sich die Brückenpfeiler bedrohlich nähern.

Ist es der Wunsch nach Freude in jedweder Situation, der bei so vielen Gelegenheiten den Blues in einem aufsteigen zu lassen droht, die unfassbare Fixierung auf den nächsten befriedigenden Moment und die Angst vor dem Verlust der gegenwärtigen, oft liebgewonnenen, Lebensphasen? Sind es die so wahrhaftig erscheinenden Träume, deren tatsächliche Erfüllung jedoch surreal ist und die dadurch für emotionale Talfahrten sorgen? Gefühlt ist es so, als würden die wirklich guten Dinge stets zur falschen Zeit passieren, so dass sich die einzelnen Teile nie wirklich ineinander fügen lassen, gleich einem industriell marginal fehlproduzierten Puzzle. 

So bastelt man im wahrsten Wortsinn beständig an seinem eigenen Leben, wählt nach bestem Gefühl die vermeintlich passendsten Bausteine aus, kommt an Wendepunkte, entscheidet sich für Richtungen und vollzieht mit jedem Tag beständig weitere Schritte auf dem eigenen, persönlichsten Weg. Dabei bleiben die unterschiedlichsten Wegbegleiter mal tief, mal weniger intensiv im Herzen hängen, produzieren schöne und schmerzhafte Erinnerungen und sorgen dafür, dass sich der Rückblick lohnt, selbst wenn er weh tut – unabhängig davon, dass die grenzenlosen Optimisten beständig den ausschließlichen Blick nach vorn empfehlen, da er der einzige angeblich Glücklichmachende sei.

Sowieso wage ich zu bezweifeln, dass selbst der hartherzigste Mensch in der Lage wäre, jegliche Vergangenheit komplett ausblenden und unwiderbringlich abschließen zu können. Dafür passiert im Leben einfach zu viel Gutes und, unabänderlich, auch jede Menge weniger Erfreuliches, das die Seele streift und sowohl Glanzlichter, als auch Narben hinterlässt. In ruhigen Momenten, oft unbeobachtet, abgeschottet, des Nachts, allein, tauchen sie aus der Dunkelheit auf, bahnen sich ihren Weg aus den Tiefen des Gedächtnisses und führen zu ebenjener titelgebenden Melancholie, die Kraft rauben und Stärke verleihen kann; je nach Zustand, Härtegrad und der eigenen Positionierung im gegenwärtigen Leben.

Erstaunlich oft tauchen gerade in verzweifelten Phasen völlig unerwartete Neuerungen auf, die unsteten Momenten wieder neue Struktur verleihen oder auch zu völliger Konfusion führen können. So oder so lenken sie aber den Blick fort vom eigentlich die Sinne beherrschenden Schmerz hin zu einer neuen Gedankenwelt, welche Aufmerksamkeit einfordert, Herausforderungen bietet und somit nicht nur Ablenkung, sondern möglicherweise einen tatsächlichen Schub nach vorn bereit hält. Natürlich birgt auch das keine Wunderheilung und verwandelt den Blues nicht per Fingerschnippen in pushende Beats, aber es weist einen Weg, zeigt auf eine Tür am fernen Horizont, auf der in schimmernden Lettern so etwas wie „your future“ steht.


Die Melancholie bleibt derweil ein ständiger Begleiter, sie ist einfach Teil eines jeden Lebens und weckt so etwas wie eine Hassliebe in einem, denn ohne die temporär schmerzhaften, teilweise herzzerreißenden Momente wären wir möglicherweise ebensowenig zu grenzenloser, unbeschwerter Freude fähig. Dann bliebe alles Einheitsbrei und das Dasein entwickelte sich zu einer auf den Tod zusteuernden Vegetation. Was ich mir nicht als besonders erstrebenswert vorstelle, obwohl ich bekanntermaßen regelmäßig von meinen Vergangenheitsdämonen in die emotionalen Knie gezwungen werde und in diesen Momenten wahrhaftig weniger persönliches Emotionsempfinden herbeiwünsche. 

So sollte ich dieses Auf und Ab wohl als Teil meiner Existenz annehmen und akzeptieren, dass es bis zum letzten Tag beständig so weitergehen wird. Wobei ich mich eines wachsenden Schutzschildes nicht erwehren kann, welches der Geist nach jedem brachialen Scheitern ohne mein aktives Zutun aufbaut und so den Zugang zu Gefühlen erheblich erschwert. Tatsächlich führt dies zu der momentanen Flucht aus dem Alltag, die darüberhinaus eine verstärkte Zurückhaltung in vielen Fragestellungen birgt, auch wenn (oder weil) ich mir noch immer nicht wirklich sicher bin, ob diese Entscheidung richtig war. Doch habe ich ganz bewusst den einen Rückweg verbaut und möchte auch einen anderen so langsam schließen, damit ich wieder auf den Pfad der Aktivität und Selbstbestimmung zurückfinde. Und das zumindest fühlt sich halbwegs richtig an – trotz aller Melancholie.

Keep on rockin´

Ree

3 Kommentare

  1. Besonders den dritten Paragraphen finde ich sehr schön. Am allerbesten gefällt mir aber folgende Passage: „(…) und führen zu ebenjener titelgebenden Melancholie, die Kraft rauben und Stärke verleihen kann; je nach Zustand, Härtegrad und der eigenen Positionierung im gegenwärtigen Leben.“
    Ich finde nämlich auch, dass aus Melancholie Kraft und Antrieb schöpfen kann. Und genauso wie unsere Augen nicht ununterbrochen auf den selben Punkt schauen können, bewegt sich auch unser Gemüt, ohne den vorherigen Punkt vergessen zu haben.

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